
Claudia Schmitz: Speech at the ProtestFest
Eine Rede von Claudia Schmitz anlässlich des ProtestFest am 27. September in Berlin.
Erlauben Sie mir eine kurze Geschichte zur langen Historie der Kunstförderung zu erzählen, die ich mir von dem belgischen Theatermacher Stijn Devillé entliehen habe:
»In den Höhlen von Lascaux findet man wunderschöne, 17.000 Jahre alte Wandgemälde. Offenbar hat sich der frühe Mensch also mit Kunst beschäftigt. Diese Wandgemälde sind gekonnt gemacht, alles andere als Anfängerarbeiten. Es muss also jemandem über einen längeren Zeitraum hinweg Zeit gegeben worden sein, sich mit der Malerei vertraut zu machen. Meisterschaft zu erlangen.«
Das war nur möglich, wenn die Gemeinschaft der Jäger- und Sammler:innen diese talentierten Maler:innen in ihrer Mitte vom Jagen und Sammeln freistellte und ihnen Zeit gab, die Kunst der Malerei zu beherrschen. Wenn etwas von der Gemeinschaft unterstützt wird, bedeutet das wahrscheinlich, dass wir es als Gemeinschaft wertschätzen. Dass dieser Beruf Ansehen hatte. Die Felszeichnungen hatten wahrscheinlich eine religiöse Funktion. Und obwohl die Etymologie des Wortes ›religio‹ unklar ist, geht der Terminus laut dem römischen Denker Lactantius auf das Verb religare zurück: sich wieder verbinden.
Verbindung.
Das ist eine der Funktionen der Künste (…) – so Stijn Devillé.
Schon vor tausenden von Jahren haben es Menschen also bewusst ermöglicht, dass andere Menschen sich künstlerisch betätigen und dabei Expertise und Exzellenz erlangen konnten. Kunst hatte einen Wert für diese Menschen! Kunst generierte Verbindung zwischen den Menschen. In der Pandemie haben wir erfahren, was es heißt, wenn das Wort Verbindung nur noch für die Zahl der Balken in unserem mobilen Netz steht. Wenn physisches Zusammensein quasi unmöglich und das Atmen der gleichen Luft zu etwas Toxischem wird. Wir dürfen diese Erfahrung und ihre Auswirkungen auf uns nicht unterschätzen.
Und wir sollten die Bedeutung der Kunst in ihrer Vielfalt für unsere Gesellschaft wertschätzen. Kunst fungiert als eine Art Flugsimulator für unser Leben. Wir sehen uns selbst, den Menschen und wie wir scheitern oder Erfolg haben. Das gibt uns Hoffnung oder jedenfalls die Erkenntnis, dass wir es sind, die das Leben gestalten. Ich verkenne dabei die momentanen Herausforderungen in Bezug auf die öffentlichen Haushalte nicht.
Als Verband ziehen wir daraus folgende Konsequenzen: Wir laden unsere Mitglieder, d.h. die Vertreter:innen der Rechtsträger und die Leiter:innen der Theater und Orchester, dazu ein, die notwendige Transformation in die eigenen Hände zu nehmen und einen PAKT für die Zukunft zu schließen: gemeinsam auch durch schwierige Zeiten, miteinander und nicht gegeneinander, nur so können wir uns für die Zukunft aufstellen und die wichtigen Orte der Begegnung und Verbindung erhalten. Vielleicht ist das ja ein lohnender Gedanke zum
Anlass dieses ProtestFestes: Ein PAKT zwischen Trägern, Fördergebern, den Institutionen unter Beteiligung der Stadtgesellschaft.
Ein gemeinsamer PAKT, der eine verbindliche und vertrauensvolle Basis schafft, die es den Beteiligten erlaubt, offen und ohne Vorbehalte über die Zukunft der Institutionen nachzudenken und Veränderung bewusst anzugehen. Ein gemeinsamer PAKT, auf dessen Basis miteinander und nicht übereinander geredet wird. Das wäre definitiv eine solide Grundlage für unsere Zukunft, die in unserer gemeinsamen Verantwortung liegt und daher auch nur von uns gemeinsam gestaltet werden kann.
Ich möchte diese Gedanken mit einem weiteren Zitat von Stijn Devillé schließen: »Ich sehe Kunst als Motor für die Vorstellungskraft. Als Weg, um neue Welten zu erschaffen und radikal neue Verbindungen herzustellen. Eine Zukunft zu gestalten – sich aus-zu-den-ken (vor zu stellen). Kunst kann das Unmögliche möglich, das Undenkbare denkbar, das Unsichtbare sichtbar machen. Wir müssen realistisch sein, hat man uns immer gelehrt. Aber das ist das Schöne an der Vorstellungskraft. Dass sie einem zeigt, dass die Realität nicht unveränderlich ist. Alles könnte anders sein.«