Von kluger Öffnung der Theater bis zu neuen Kriterien für die Kulturförderung: Gernot Wolfram, Professor für Medien- und Kulturmanagement an der Berliner Hochschule Macromedia, liefert konkrete Ideen, wie die Bühnen in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten für die Zukunft gerüstet sind.
Interview von Marion Troja
Herr Wolfram, kann sich unsere Gesellschaft die öffentlich geförderte Kultur noch leisten?
Das war lange Jahre eine ganz böse Frage, und wenn man die gestellt hat, ist man in den Verruf eines Neoliberalen gekommen. Jetzt sieht man aber, dass die Politik nicht nur die Frage stellt, sondern Schlag auf Schlag radikale Entscheidungen trifft. Es heißt, wenn sich eine Sache nicht trägt, dann muss man eben schließen.
In Kommunen mit bis zu 40 Prozent AfD- Wählerschaft steht zudem die Kunstfreiheit infrage.
Das ist ein entscheidender Punkt. Die AfD ist am Thema Kultur sehr interessiert. Wenn wir in das Parteiprogramm schauen, wie die Rechten den Kulturbegriff nutzen, steht dort: Wir wollen eine »geistig-kulturelle Wende« in Deutschland. Und wenn Sie sich Verlage anschauen wie Antaios, geht es da viel um Kultur, um Identität. Das Thema hat in diesen Kreisen eine hohe Bindungskraft, in eine Richtung, die uns nicht gefallen kann.
Identität, Kultur, Nationalität. Sind das Themen, die im Theater emotionaler erzählt werden sollten?
Ich sehe das sehr kritisch. Aber dass etwa die Antwort auf die Correctiv-Enthüllungen, die ja sehr wichtig waren, eine Lesung aus den Protokollen war, ist sicher vom Motiv her richtig. Aber eine Lesung, die zeigen will, wie schrecklich die da draußen sind, ist keine interessante künstlerische Antwort.
Propaganda und Populismus einerseits und intellektueller Diskurs und aufklärerischer Anspruch andererseits – zeigt sich das so?
Der Theaterbesuch ist oft stark mit Narrativen überfrachtet. Das könnte man einfacher vermitteln: Ich weiß erst mal gar nicht, was passiert, und entscheide mich danach, ob ich das intellektuell anspruchsvoll, schrecklich oder einfach nur spaßig fand. Die Elektrisierung jenseits der moralischen Debatte, das haben wir im Moment in den Kulturinstitutionen an vielen Stellen verloren.
Zugespitzt gefragt: Die Bühnen sind also nicht dafür da, die Demokratie zu retten?
Ich würde sehr wohl dafür plädieren, dass Theater demokratische Orte sein sollen. Als Orte. Sie sollten das machen, was auch die Bibliotheken gemacht haben, nämlich radikal rangehen an ihre Zugänglichkeit, an Öffnungszeiten etwa. Das ist die eine Baustelle. Die andere Baustelle ist das Programm. Da sollte man sich nicht als verlängerter Auftragsarm der Politik verstehen. Gute Kunst funktioniert nie im Auftrag von parteipolitischen oder gesellschaftspolitischen Ideen. Das ist sofort langweilig, auch wenn die Intentionen gut sind.
Zum Theater als Ort: Es ist gängige Praxis, die Theaterfoyers für die Öf- fentlichkeit zu öffnen. Das führt aber nicht zu mehr Einnahmen, sondern erhöht die Kosten – zum Beispiel durch notwendiges Personal.
Da sollte man mal nach Oslo oder Kopenhagen schauen oder auch nach Athen, wo die Nationaloper und die Nationalbibliothek in einem von Renzo Piano entworfenen Gebäude am Wochenende voll sind – mit Familien, mit Migrant:innen. Genau das, was man sich in der Stadtpolitik wünscht als diversen Ort, ohne Konsumzwang, also auch ohne Kulturzwang. Es ist messbar, dass dieser Kulturort einen wichtigen stadtpolitischen Auftrag erfüllt.
Dann ist der Denkfehler, dass Bühnen über die Öffnung der Foyers Zuschauer:innen generieren wollen?
Das wird so nicht passieren. Es passiert etwas Schlimmeres: Das Publikum, das eine Distinktionserfahrung möchte, also die Erhabenheit des Theaters erleben will – das bleibt auch weg, weil es nicht mehr als der richtige Ort dafür wahrgenommen wird. Wir müssen diese Orte ins 21. Jahrhundert führen und öffnen mit all den Unterschieden, die es gibt – also auch für Menschen, die nachmittags an Laptops arbeiten und dafür Steckdosen im Foyer benötigen. Aber das Programm darf nicht auf die gleiche Weise auf den Kopf gestellt werden. Im Gegenteil, vielleicht kommen wir zurück zur konventionellen Vorstellung, dass wir eine eigene Sprache aus dem Theater heraus brauchen für die Kunst.
Wird erst deutlich, was die Gesellschaft ohne sie verlieren würde, wenn die Häuser nicht mehr da sind?
Es geht um den wichtigen Begriff der Bindung. Wir haben eine starke Bindung zur Kultur. Das zeigen alle Daten. Die Leute wollen diese Kulturhäuser. Der Schritt zur aktiven Bindung, dass sie auch dort hingehen und sich für deren Erhalt verantwortlich fühlen, der ist immer noch schwierig. Wir sehen, dass Menschen bereit sind, für mehrere Streamingdienste gleichzeitig zu zahlen, jeden Monat. Da gibt es also Bindung. Aber beim Theater? Die Menschen wollen einerseits die Orte, beklagen sich aber über die Ticketpreise. Es gibt eine Bindung an den Ort und eine an das Programm – die muss man zusammen denken, aber unterschiedlich behandeln.
Schon jetzt werfen Intendant:innen hin, weil sie mit weniger Geld nicht immer mehr und neue Aufgaben übernehmen können.
Das ist ja ein Bild aus dem 19. Jahrhundert, dass der Intendant der allmächtige Kapitän ist. Es braucht mehr Kooperation. Natürlich ist ein Intendant qua Ausbildung kein Experte für dritte Orte. Aber es gibt in der Stadtentwicklung, in der Kultursoziologie Menschen, die sich damit beschäftigen. Die kulturelle Bildung, in der Tanzpädagoginnen, Theaterpädagoginnen mit Quartierssozialarbeitern zusammenkommen, ist ein Vorbild. Dann ist die künstlerische Arbeit entlastet, und es kommen auch andere Menschen in die Theater und verändern die Institution.
Sollte es also einerseits Förderung für die Kunst geben und andererseits Förderung für den leben- digen Ort?
Das wäre wünschenswert. Wir müssen kritisch nachfragen: Wie kommen denn die Förderprogramme zustande? Die Kriterien können nicht nur von der Politik, Jurys und externen Fachleuten festgelegt werden. Die Kriterien für zukünftige Kulturförderung müssen sich ändern. Gerade wenn das Geld knapp ist, sollten sich unterschiedliche Akteure zusammensetzen und gemeinsam die zukünftigen Kriterien entwerfen. Dann fangen auch Kulturschaffende an zu verstehen, in welchen Zwängen Kulturpolitiker stecken. Und die wiederum verstehen, dass das keine nörgelnden Künstler sind, die Geld für etwas wollen, was keiner sehen will. In so einen Prozess gehören auch Leute aus der Stadtplanung, aus der Sicherheitspolitik, aus dem Klimaschutz. Und aus der Bevölkerung.
Wäre mehr Sponsoring auch eine Notwendigkeit?
Es kommt auf die Firmen an. Niemand möchte von Waffen- oder Tabakfirmen gesponsorte Vorstellungen schauen. Man muss glaubwürdig sein, wenn man kritisch sein will im Programm. Dazu muss man neue Partner finden und gute Kooperationsverträge verhandeln. Wir werden in den nächsten Jahren verstehen müssen, dass klassische Kulturförderung in Zeiten von Krieg und neuer Aufrüstung massiv reduziert wird.
Glauben Sie, dass Theater zur Disposition stehen?
Man muss langfristiger denken. Die Wirkung von Kunst in nicht so einfach messbar. Sie ist aber da und macht etwas mit den Menschen und unserer Geschichte. Auch im Kampf gegen eine neue Gefühllosigkeit in der Gesellschaft. Die Antwort auf die Frage der der Legitimität von Theatern lautet: es ist der Ort, wo wir einen wesentlichen Teil unserer gegenwärtigen Verfasstheit erleben können. Aber es braucht mehr und verschiedene Menschen, die diesen Ort weiterdenken und das Potenzial heben.
Gernot Wolfram ist Professor für Medien- und Kulturmanagement an der Macromedia Hochschule in Berlin und lehrt Kulturmanagement an der Universität Basel und Cultural Studies an der Fachhochschule Kufstein. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich kulturelle Partizipation in der Zivilgesellschaft, Democracy Training sowie Dritte-Orte-Entwicklung für Kulturinstitutionen.